Warum Veränderung ohne psychologische Sicherheit scheitert

metamorphose

Warum fällt es uns so schwer, uns zu verändern – selbst wenn wir wissen, dass es nötig ist?

Im Jahr 1965 veröffentlichten Edgar H. Schein und Warren G. Bennis ihr Buch „Personal and Organizational Change Through Group Methods“. Ziel ihrer Arbeit war es, die Bedingungen zu verstehen, unter denen sich Menschen und Organisationen tiefgreifend verändern können.

Im Zentrum der Arbeit stand das sogenannte Labortraining – ein erfahrungsorientierter Gruppenprozess, in dem Teilnehmende ihr eigenes Verhalten sowie das der anderen beobachten, hinterfragen und reflektieren. Keine Agenda, keine Rollen – nur Begegnung, Reaktion, Erfahrung.

Das Drei-Phasen-Modell von Kurt Lewin

Schein und Bennis knüpften ihre Arbeit an das Drei-Phasen-Modell von Kurt Lewin an, das Veränderung als dynamischen Prozess beschreibt. Konkret beschrieben sie:

  1. Unfreezing – das Auftauen: Bestehende Muster werden aufgebrochen.
    • Mangel an Bestätigung oder Nichtbestätigung
    • Auslösung von Schuld- oder Angstgefühlen
    • Herstellung psychologischer Sicherheit durch Reduktion von Angst oder Beseitigung von Widerständen
  2. Changing – die Veränderung: Neue Einsichten und Verhaltensweisen entstehen.
    • Veränderung der zwischenmenschlichen Umwelt
    • Entwicklung eines neuen Selbstbilds
  3. Refreezing – das Wiedereinfrieren: Das Neue wird gefestigt und integriert.
    • Integration der neuen Sichtweise in das persönliche Selbst- und Einstellungssystem
    • Integration in Beziehungen: Ein neuer Reaktionsstil wird in bestehende, bedeutungsvolle Beziehungen integriert.

Der Fokus liegt dabei auf dem Unfreezing. Das ist der Moment, in dem du beginnst, gewohnte Denkmuster zu hinterfragen. Genau hier beginnt der Veränderungsprozess – aber auch die größte Unsicherheit. Denn wer loslässt, hat noch nichts Neues zum Festhalten.

Psychologische Sicherheit

Im Buch taucht ein Begriff auf, der in den 1960er Jahren noch kaum verbreitet war: Psychological Safety – psychologische Sicherheit.

Schein und Bennis erkannten: Veränderung gelingt nicht allein durch Verunsicherung. Ohne psychologische Sicherheit führt Unfreezing nicht zu Lernen – sondern zu Angst, Rückzug oder Widerstand. Die Herausforderung ist, einen Raum zu schaffen, der dich zwar destabilisiert, aber gleichzeitig schützt.

Psychologische Sicherheit ist kein Wohlfühlfaktor, sondern die Voraussetzung dafür, dass Veränderung überhaupt angenommen werden kann.

Schein und Bennis beschreiben psychologische Sicherheit als einen Zustand, in dem:

  • Risiken eingegangen werden dürfen,
  • Fehler erlaubt sind,
  • Offenheit möglich ist – ohne Sanktion, Beschämung oder Bloßstellung.

Der Rahmen

Dieser Zustand wird im Labor durch drei Faktoren gestützt:

  1. Das Setting – ein experimenteller Raum fern des beruflichen Alltags, frei von realen Konsequenzen.
  2. Die Normen – eine Haltung der Neugier und Fehlerfreundlichkeit statt Anpassungsdruck.
  3. Die Gruppe – als tragende Struktur, die emotionale Unterstützung bietet und Unsicherheit auffängt.

Besonders betont wird die Rolle der Gruppe: Du kannst dir in der Gruppe „Sicherheit leihen“, wenn deine eigene gerade brüchig ist.

Grundsätzlich beginnt Einstellungsänderung mit einem Ungleichgewicht: Informationen, die unerwartet sind oder deinem Selbstbild widersprechen, führen zu Unbehagen oder Angst. Damit Veränderung stattfinden kann, brauchst du ein Mindestmaß an psychologischer Sicherheit – sonst wirst du defensiv oder starr.

Fühlst du dich hingegen sicher, beginnst du, neue Informationen über dich selbst zu suchen. Das ermöglicht dir, überzeugungen zu dir selbst oder zu anderen neu zu definieren. Du gewinnst solche Informationen vor allem durch zwei grundlegende Mechanismen:

  1. Abtasten der zwischenmenschlichen Umgebung nach relevanten Hinweisen
  2. Identifikation mit einer bestimmten Person, deren Überzeugungen tragfähiger erscheinen

So klar diese Passage formuliert ist: Psychologische Sicherheit ist kein durchgängiges Konzept des Buchs. Sie taucht nicht systematisch auf, wird nicht theoretisch vertieft und auch nicht in den organisationalen Alltag übertragen.

Aber: Sie ist funktional entscheidend. Schein und Bennis zeigen, dass ohne diesen psychologischen Boden kein echtes Lernen möglich ist – jedenfalls nicht in einem Setting, das Menschen herausfordert.

Edgar Schein wird in seinen späteren Arbeiten das Thema psychologische Sicherheit in Veränderungsprozessen immer wieder aufgreifen. Zum Beispiel in seinem Artikel „How can Organizations learn faster?“ (1992) oder in seinem Buch „Humble Inquiry“, das 2021 in überarbeiteter Auflage erschien. Dort zeigt er immer wieder: Psychologische Sicherheit ist kein Add-on, sondern das Fundament für jedes gelingende Veränderungsprojekt.

Impulse zur Reflexion

  • Wann hast du das letzte Mal eine Änderung bewusst zugelassen?
  • Welche Bedingungen haben dir dabei geholfen, dich sicher zu fühlen?
  • Und: Wie könntest du für andere einen sicheren Raum für Veränderung schaffen?

Willst Du mehr wissen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert